Weinszene zwischen Tradition und Innovation

Neal Martin, renommierter Weinkritiker und Kolumnist, nimmt uns in seinem neuesten Artikel mit auf eine Entdeckungsreise durch die Weinszene Südafrikas. Seine Eindrücke sind ehrlich, reflektierend und zeigen die Vielfalt und die Herausforderungen einer Region, die viele noch immer unterschätzen.

Solarstrohm

Qualität jenseits des Supermarkt-Regals

«Die Diskrepanz zwischen den günstigen Supermarktweinen und den hochwertigen Tropfen, die von Winzern wie Eben Sadie und Chris Alheit stammen, ist gewaltig», schreibt Martin. Südafrika bietet eine reiche Vielfalt an Qualitätsweinen, die oft für einen Bruchteil des Preises erhältlich sind, den man in anderen Weinregionen zahlen würde. Diese erschwinglichen, jedoch herausragenden Weine zeigen eindrucksvoll, was das Land zu bieten hat. Doch obwohl viele dieser Weine weltweit Höchstnoten erhalten, werden sie oft als «zu billig» eingestuft und nicht ernst genug genommen.

Für Neal Martin liegt hier eine besondere Stärke Südafrikas – die Chance, eine breite Basis neuer Weinliebhaber anzusprechen, die vielleicht gerade erst beginnen, die Welt der gehobenen Weine zu erkunden. Hinter den unscheinbaren Preisschildern verbergen sich wahre Schätze, die darauf warten, entdeckt zu werden.

Old Vine Sadie Family Wines

Eben Sadie mit seinem Sohn Markus.

Alte Reben und das Erbe des Kap-Weinbaus

Südafrika mag auf den ersten Blick als typisches «Neue Welt»-Weinland erscheinen, doch es überrascht mit einer Besonderheit: einigen der ältesten Rebstöcke ausserhalb Europas. Neal Martin hebt in seinem Artikel hervor, wie wertvoll diese alten Reben sind, die teilweise bis ins frühe 20. Jahrhundert zurückreichen. Diese historischen Weinberge verleihen südafrikanischen Weinen eine Tiefe und Charakterstärke, die nur wenige Regionen bieten können.

Dank des Old Vine Projects (OVP), einer Initiative, die sich dem Schutz und der Pflege dieser seltenen Rebstöcke widmet, wird dieses kostbare Erbe bewahrt. Das Projekt sichert nicht nur die Zukunft der Reben, sondern ermöglicht auch Konsumenten, die besondere Qualität dieser Weine zu entdecken. Martin schwärmt: «Das Old Vine Project sichert ein Erbe und bietet den Konsumenten eine einzigartige Qualität, die in der südlichen Hemisphäre selten ist.»

Für Neal Martin ist dieses Projekt mehr als nur ein Beitrag zum Umweltschutz. Es ist eine Hommage an das Terroir und die Geschichte des Landes, die sich in jedem Schluck dieser alten Reben wiederfindet. Südafrika zeigt damit, dass es nicht nur moderne Innovationen, sondern auch eine tiefe Verbundenheit zur Vergangenheit besitzt – und genau diese Kombination macht die Weine aus diesen historischen Weinbergen so besonders.

Pinotage und Chenin Blanc – das Herz und die Seele Südafrikas

Während Pinotage oft als die Nationalrebsorte Südafrikas gilt, sieht Neal Martin im Chenin Blanc die wahre Seele der Region. Diese vielseitige Traube hat im Laufe der Jahre ihren festen Platz in der südafrikanischen Weinkultur gefunden und beeindruckt durch ihre Wandelbarkeit. «Chenin Blanc kann so facettenreich sein wie kaum eine andere Rebsorte und entwickelt sich hier zu einer echten Ikone», beschreibt Martin begeistert. Die Winzer des Landes nutzen die Vielseitigkeit dieser Traube meisterhaft, sodass Weine entstehen, die von frisch und fruchtig bis hin zu komplex und lagerfähig reichen – eine Bandbreite, die kaum eine andere Rebsorte bietet. So zeigt sich Chenin Blanc in Südafrika als perfektes Abbild des Terroirs und der Experimentierfreudigkeit seiner Winzer.

Auch Pinotage, der lange Zeit eher belächelt und oft als rustikal abgestempelt wurde, erfährt inzwischen eine regelrechte Renaissance. In den Händen einer neuen Generation talentierter Winzer zeigt Pinotage heute eine ganz neue Seite – elegant, strukturiert und ausdrucksstark. Winzer wie Kanonkop und Scions of Sinai beweisen, dass Pinotage mehr ist als nur eine regionale Kuriosität. Sie bringen das volle Potenzial dieser Rebsorte zur Geltung, die nun wieder stolz zu Südafrikas Identität zählt und so den Weg in eine spannende Zukunft ebnet.

Für Neal Martin vereinen Chenin Blanc und Pinotage das Beste der südafrikanischen Weinszene: Innovation, Tradition und einen ausgeprägten Charakter. Beide Rebsorten sind tief im Land verwurzelt und verkörpern seine besondere Weinbaugeschichte ebenso wie die aufregenden Perspektiven für die kommenden Jahre.

Eben Sadie

Chris und Mullineux zeigen ihre Fynbos- Pflanzen auf ihrer Roundstone-Farm.

Klimawandel und die Anpassung der Weinbaupraktiken

Mit Nachdruck schildert Martin die drastischen Wetterextreme, die die Winzer in den letzten Jahren bewältigen mussten – von Dürre bis hin zu extremen Regenfällen. Doch die Winzer lassen sich nicht entmutigen und setzen zunehmend auf nachhaltige Anbaumethoden. Biodynamische Techniken, der Einsatz von Fynbos-Pflanzen zur Bodenerhaltung und die natürliche Schädlingsbekämpfung durch Tiere wie Schafe und Enten sind heute gängige Praktiken, die Martin als innovative Antworten auf klimatische Herausforderungen beschreibt.

Eine starke Gemeinschaft und ein Geist der Solidarität

Neal Martin zeigt sich besonders bewegt von der starken Gemeinschaft, die er unter den südafrikanischen Winzern erlebt hat. Die Winzerinnen und Winzer im Land sind nicht nur von ihrem Handwerk begeistert, sondern auch tief miteinander verbunden. «In einem Land mit begrenzten Ressourcen ist gegenseitige Unterstützung alles», hebt Martin hervor und betont damit die Bedeutung dieser Solidarität. Die Winzer stehen sich zur Seite, teilen Erfahrungen und helfen einander in schwierigen Zeiten – eine Mentalität, die Martin als einzigartig empfindet.

Dieser ausgeprägte Zusammenhalt verleiht der südafrikanischen Weinwelt eine ganz besondere Dynamik. Die Winzer arbeiten oft Hand in Hand, um ihre Ressourcen bestmöglich zu nutzen, und profitieren so vom Wissen und den Fähigkeiten ihrer Kolleginnen und Kollegen. Dieser Geist der Zusammenarbeit sorgt nicht nur für eine hohe Qualität der Weine, sondern bringt auch eine Energie und Leidenschaft in die Branche, die Martin als aussergewöhnlich beschreibt.

Für Martin ist es diese besondere Verbundenheit, die Südafrika als Weinland auszeichnet und inspiriert. Sie zeigt, dass Weinbau hier nicht nur eine Einzelaufgabe ist, sondern ein Gemeinschaftsprojekt, bei dem alle an einem Strang ziehen. In einer Branche, die oft von Konkurrenz geprägt ist, bleibt Südafrika durch seinen Zusammenhalt und das gemeinsame Streben nach Exzellenz ein Beispiel für andere Weinregionen.

Neuer Keller

Der ausgebaute Betrieb von Adi Badenhorst beliefert viele Winzer mit Obst.

Eine Perspektive auf die Zukunft

Neal Martin ist überzeugt: Die südafrikanische Weinszene ist nicht nur reich an Geschichte, sondern auch voller Innovationsgeist und Authentizität. In einer Welt, die zunehmend auf Exklusivität setzt, steht Südafrika für eine inklusive und zugängliche Weinkultur. Martin lässt keinen Zweifel daran, dass diese Region auf der globalen Weinbühne künftig eine noch grössere Rolle spielen wird. Wer die besonderen Tropfen aus dem Kap noch nicht probiert hat, sollte sich von Martins leidenschaftlichem Artikel inspirieren lassen – und sich selbst auf eine Reise in die Weinwelt Südafrikas begeben.